Gedanken zu Ton und Elektrizität

Über die Tonentstehung und das Hören

Der Mensch ist (auch) ein hörendes Wesen!

Lange bevor er geboren wird, bilden sich vor allen anderen Sinnesorganen die Hörorgane in ihrer Vollständigkeit aus. Als allererstes „hört“ das Ungeborene seine Mutter. Und wenn wir die Schwelle des Todes dereinst überschreiten ist das Hören das Letzte, was das Bewusstsein noch wahrnehmen kann. Wir können die Augen bewusst schließen, doch niemals die Ohren. Wir hören immer – „unaufhörlich“ – 24 Stunden am Tag, unser ganzes Leben.

Daher ist es vielleicht angebracht, einige Gedanken hier niederzuschreiben über den   Qualitätsunterschied des natürlichen Klanges eines Musikinstrumentes und dem elektronisch verstärkten Klang.

Verfolgen wir den Weg des übersinnlichen Ton-Wesens – irdisch werdend über die schwingende Saite – bis zum „Hören“ desselben:

„Mit dem Grundton klingen immer Teiltöne mit.“ So lautet die übliche Formulierung. Doch die Obertöne sind niemals Begleiterscheinung eines Grundtones sondern dessen Ursache im Moment des Hörbarwerdens. Bei jedem Musikinstrument befindet sich die Stelle, wo der Spieler mit dem Prozess der Tonbildung ansetzt. Bei der Flöte und der Orgelpfeife ist es das Labium, bei der Schalmei das Rohrblatt. Bei allen Geigen und Harfen ist es die Saite.

Im allerersten Moment ruft man dabei zuerst die kleinsten und allerkleinsten Schwingungen hervor, die dann das gesamte Instrument anregen.

Wir nehmen als Beispiel ein Flöte: Wenn wir ganz leise hineinblasen, hört man eine Anzahl von hohen Tönen, die ganz zart – kaum hörbar klingen. Diese Töne stehen auf geheimnisvolle Weise mit den „großen“ Tönen im Zusammenhang und lassen diese aufklingen.

So auch bei der Harfe: Kleine und fast unhörbare Schwingungen regen die großen, sehr gut hörbaren „Grund“-Töne an. Die Kunst des Instrumentenbauers sorgt dafür, dass dieser Prozess des „Hörbarwerdens“ sehr kurz ist, andererseits liegt aber gerade in diesem einen Moment des allerersten „Anschwingens“ die Schönheit und typische Klangcharakteristik eines bestimmten Instrumentes begründet. Musiker und auch Instrumentenbauer sollten eigentlich ein selbstverständliches und natürliches Gefühl dafür entwickeln. Handelt es sich hier doch um die Geburt eines Tones, also etwas, wofür der Musiker „Musiker“ geworden ist! – für die Magie, aus dem Unhörbaren klingende Töne zu erschaffen.

Daher ist es schade, dass in unserer naturwissenschaftlichen Denkart diese Naturvorgänge und Phänomene mechanistisch beschrieben werden als: „… Differenztöne … Teiltöne … Schalldruck … Amplitude … usw. …“ Das verhindert geradezu, die lebendige Organik der Tonentstehung zu durchschauen und zu erleben!

Und nun kommt der zweite Bereich: das „Unhörbarwerden“ im Zuhörer. Die moderne Medizin kann uns zwar sehr detailliert beschreiben, wie das menschliche Ohr aufgebaut ist und wie die Töne im Ohr verarbeitet werden, aber nicht mehr!

Denn letztendlich wird im Innenohr, genau in dem Moment, wenn die feinsten Härchen wie eine Mikroharfe mit dem Ton mitschwingen und den die Impuls an den Gehörnerv übertragen, der äußerlich hörbare Ton plötzlich „unhörbar“ (geht also wieder zum geistigen Ursprung zurück) und durch diese „Klang-Entmaterialisation“ hören wir. So schließt sich der Kreis.

Der Hörer kann wirklich sagen: „Es klingt in mir“,

und der Musiker: „Ich werde gehört.“

Was passiert, wenn sich in diesen sozialen Prozess ein Lautsprecher dazwischen schaltet?

Stellen wir uns einmal einen Tag vor, an dem wir absolut alle Lautsprecher der Welt … privat, in Restaurants, in Kaufhäusern, auf der Straße, im Radio bei der Arbeit, auf Flughäfen …  verstummen lassen könnten.

Wenn wir der Meinung sind, dass der Lärm aus all diesen eingeschalteten plärrenden Lautsprechern sowieso nur eine „Geräuschkulisse“ im Hintergrund ist, sind wir nicht mehr wachsam für die Gefahr, welche von der leblosen, seelisch aushöhlenden Qualität des elektronischen Tones ausgeht, wie z. B. die Abflachung des Tongefühls und das Zunehmen des Chaos in der eigenen inneren Wahrnehmungs- und Erlebnissphäre.

Die Elektronik kann nur Quantitäten messen – und sie wird niemals eine Zahl „übersehen“ oder überspringen. Was aber die Elektronik nicht kann: Sie kann nicht messen, wie wir Menschen einen Ton seelisch-erlebnismäßig wahrnehmen!

Wir haben ein selektives Gehör. Wir können aus einem Zusammenhang gewisse Töne und Intervalle auswählen und „heraushören“. Wir können das üben. Daher ist es uns auch möglich, die Qualitäten wahrzunehmen. Wählen wir irgend einen Ton, z. B. „sol“ (lat.: Sonne) das „G“. Der dominante Grundton fühlt sich dunkel und warm an und wir spüren den licht- und sphärenhaften Klangcharakter der Obertöne.

Wärme und Licht im Klang sind die zwei Qualitäten, die wir immer gemeinsam, ineinander wirkend, wahrnehmen!

Wie konnte es dann aber dazu kommen, dass Millionen und Abermillionen Menschen die Töne aus perkussiv funktionierenden Lautsprechermembranen – ein elektrisches, qualitativ leeres Surrogat – als „echte“ Töne empfinden?

Der elektronische Ton – durch sein digitales Trennen (= isolieren) und quantitativem Wieder-Addieren von Einzelschwingungen – hat per se schon eine isolierende Wirkung auf den Menschen.

Eine Steigerung dieses Phänomens finden wir in der elektronischen Musik des Synthesizers für sogenannte „space-Szenarien“ und neuerdings sogar für Meditationen (bei teuren Wochenendseminar-Gruppen-Träumereien) mit ihrer bloßen Suggestion von scheinbaren „spirituellen Sphärenklängen“ – eingeschlossen im eigenen Erleben und ohne den so wichtigen Kontakt zum anderen Menschen!

Dieses gedankenlose Konsumieren von elektronischer, also Strom-erzeugter Musik ist derzeit eines der schlimmsten Übel geworden: nämlich ein weltumspannendes Kennzeichen einer degenerierten Anti-Kultur – das überraschende Ähnlichkeit zeigt mit einem Krankheitsbild, welches auch erst in unserer moder-nen Zeit in Erscheinung (fast gleichzeitig mit dem Aufkommen und weltweiten Verbreitung der elektrischen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg) getreten ist:  Dem Autismus.

Denn es ist ein autistisches Bild, das ein solch verzerrter Hörprozess aufzeigt – und von der elektronischen Illusion noch dazu immer wieder angeregt und aufgestachelt wird.

* * *

Daher habe ich beim Instrumentenbau sehr darum gerungen, ob eine elektronische Verstärkung bei Harfen dem Menschen überhaupt dienlich sein kann!

Ausgehend von den Wünschen von Musikerinnen und Musikern, die auf der Bühne stehen und im Studio arbeiten, stellt sich jedes Mal aufs Neue die Frage: 

Lassen sich die angesprochenen ätherischen Klangqualitäten „Wärme und Licht“ über die Lautsprecher hinüber retten? Ist so etwas nach heutigem Stand der Technik möglich.

Die Antwort wird wahrscheinlich immer, ja muß sogar „NEIN“ lauten! 

Wenn wir es trotz alledem versuchen, dann jedoch mit dem Bewusstsein, dass wir zu dem musikalischen Erleben eine „untersinnliche seelenzerstörende Qualität anderer Art“ zusätzlich in Kauf nehmen müssen – und wir uns es immer schönreden damit, dass dies ja sowieso nicht wahrnehmbar sei – was für ein Irrtum!

Wir betrachten vielmehr die Ganzheit. Damit wir zu einem gesunden Hörerlebnis für den Menschen kommen, beginnen wir bereits bei der Formgebung des Resonanzkörpers. Er ist gebaut in der tradition der Architektur der Kathedralen aus der Gotik. Die Maßverhältnisse entsprechen der geometrischen Formen des Lebendigen und den universal gültigen mathematisch-musikalischen Proportionen.

So wird die Form selbst zum Klang – ja mehr noch: Der Körper ist Klang!

Wenn also eine Saite zum Erklingen gebracht wird, wird auch das gesamte Instrument während dieses oben beschriebenen Tonbildungsprozesses innerhalb von Sekundenbruchteilen davon erfasst.

Wenn eine elektroakustische Verstärkung unumgänglich scheint, dann ist es einzig und allein das rein äußerlich materiell-physikalische „Hörbarwerden“ und das Nachschwingen des Gesamtklanges, das wir verstärken können.

Was not tut: eine feine Gehörbildung, die schon im Kindesalter beginnt, durch die Schule im Unterricht gefördert werden sollte um die Menschen für die Qualitäten des Klanges zu sensibilisieren!

Leider passiert mit dem gedankenlosen und rasant zunehmenden Gebrauch von Mobiltelefonen, mp4-files und Musik aus den Internet-Dateien genau das Gegenteil.

* * * * * * *

Zu guter Letzt: . . . riskieren wir einen kurzen Blick, in welche satanischen Abgründe die elektrische Musik schon vor langer Zeit geführt hat:

Offizieller Werbetext auf dem Cover einer Rock-Langspielplatte von Black Sabbath (aus den 70ern – nichts für schwache Nerven)

„Und du, armer Narr, der du diese LP in den Händen hältst,
wisse denn, daß du mit ihr deine Seele verkauft hast,
denn sie wird schnell in diesem höllischen Rhythmus,
in der teuflischen Kraft dieser Musik, gefangen sein.
Und dieser musikalische Tarantelbiß wird dich tanzen lassen,
ohne Ende, ohne Pause.“

* * *

Wichtige Literatur zum Thema:

Gerhard Beilharz: „Erziehen und Heilen durch Musik“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1998

Hermann Pfrogner: „Lebendige Tonwelt“, Langen Müller, 1976

Heiner Ruland: „Ein Weg zur Erweiterung des Tonerlebens“, Verlag Die Pforte, Basel 1981

Heiner Ruland: „Die Neugeburt der Musik aus dem Wesen des Menschen“, Novalis Verlag, 1987

Joachim E. Berendt: „Nada Brahma – Die Welt ist Klang“, Suhrkamp, 2007

Joachim E. Berendt: „Ich höre – also bin ich“, Goldman, 1989

Karl von Baltz: „Rudolf Steiners musikalische Impulse“, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag, Dornach 1981

Rudolf Steiner: „Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1991, GA 283

Flensburger Hefte: „Musik“, Heft 19, 1989

Edwin Fischer: „Von den Aufgaben des Musikers“, Ogham Bücherei, Verlag am Goetheanum, 1997

Frank Berger: „Musik im Kultus“, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1995

Rudolf Steiner: „Wege zu einem neuen Baustil“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1991, GA 286

Louis Charpentier: „Die Geheimnisse der Kathedrale von Chartres“, Knaur-MensSana, 2001

Fernando Salazar Banol: „Die okkulte Seite des Rock“, Hirthammer Verlag, 1993

Fabre d’Olivet: „The Secret Lore of Music – The hidden power of Orpheus“, Inner Traditions,1987

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