Die Goldene Lyra aus Sumer (3)

Die Idee wird Realität

Das zerstörte Museum

Anfang April 2003 fuhr ich zum Harfenfestival in Edinburgh. Zuvor jedoch besuchte ich im Norden von Schottland einige Freunde (in der Nähe von Elgin).

Zu jener Zeit rückten die amerikanischen Soldaten nach Baghdad vor. Am 10. April, als Baghdad von den Amerikanern eingenommen war, wurde unter anderem auch das Nationalmuseum geplündert. Mir ist bewußt, dass das menschliche Leid im Krieg das Schlimmste ist, und eine Plünderung eines Museums im Vergleich dazu von vielen Zeitgenossen als unbedeutend gesehen wird. Doch der Vernichtung aller kulturellen Werte und Schätze einer Nation ist ein Verlust, der auf einer anderen Ebene das Volk seiner Identität beraubt – was auch eine Katastrophe ist.

Im britischen TV sah ich die live-Bilder der unwiederbringlichen Zerstörung von Jahrtausende alten Kulturgegenständen. Ein kulturelles Verbrechen, das von den zuständigen amerikanischen Behörden zugelassen wurde (Ölfelder jedoch wurden „gesichert“ und bewacht) Rund 170.000 wertvolle Artefakte der früheren Zivilisationen wurden gestohlen oder vernichtet; so auch jenes einzigartige Musikinstrument, die wir als „die Goldenen Lyra von Ur“ gekannt haben.

Hier einige Stimmen (den gesamten Bericht findet man unter www.eurasischesmagazin.de mit dem Titel Beutekunst aus dem Zweistromland):

. . . Augenzeugenberichte sprechen tatsächlich davon, daß die Plünderungen unter den Augen amerikanischer Soldaten geschahen – obwohl man sie immer wieder aufgefordert habe, ihnen Einhalt zu gebieten. Die New York Times berichtete beispielsweise darüber, wie der Archäologe Raid Abdul Ridhar Muhammed am 10. April Plünderer aus dem Bagdader Nationalmuseum vertreiben konnte, weil ihm zunächst fünf Soldaten der US-Marines dabei halfen, indem sie Warnschüsse abgaben. Aber eine halbe Stunde später seien die Plünderer wieder gekommen. Diesmal hätten sie ihr Unwesen ungehindert treiben können, denn die US-Armee habe sich plötzlich geweigert, zu helfen . . . 

. . . Bei Mitarbeitern des Museums aber auch bei Passanten und internationalen Beobachtern lautete die spontane Einschätzung der unglaublichen Vorgänge: „Was sich hier abspielte, war gezielte Plünderung, war geplanter Raub!“ Donny George: „Die Täter kannten sogar die geheimen unterirdischen Depots. Das waren Kenner, organisierte Kunstdiebe. Sie haben nur die wertvollen Originale mitgenommen und ließen Kopien stehen“ . . .

. . . In der Zeitschrift „Neue Solidarität“ 17/2003, wird ein besonders krasser Vorwurf erhoben: Die Plünderung und Zerstörung der weltweit einzigartigen Museen und Bibliotheken des Irak seien, wie der Autor Muriel Mirak-Weissbach schreibt, „kultureller Völkermord“. Dieser Raub und die Ausplünderung der irakischen Sammlungen werden als ein Verbrechen gewertet, das „die Geschichte und damit die historische Identität eines ganzen Volkes, einer Kulturnation“ vernichte. . .

. . . Das Bagdader Museum beherbergte die weltgrößte Sammlung mesopotamischer Kunst und dokumentierte eine einzigartige geschlossene Spanne der Zivilisationsgeschichte von den Sumerern über die Akkader, Assyrer und Babylonier bis hin zur islamischen Zeit. Die Archäologin Roberta Venco von der Universität Turin sagte: „Man kann unmöglich die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens erforschen, ohne dieses Museum besucht zu haben.“ . . . 

. . . Auf einem Dringlichkeitstreffen der UNESCO am 17. April in Paris, wo man erste Einschätzungen des Schadens vornahm, sagte der Vorsitzende der Amerikanischen Vereinigung für Forschungen in Bagdad, Prof. McGuire Gibson von der Universität Chikago: „Es sieht so aus, als seien einige der Plünderungen eiskalt geplant gewesen. Die Täter hatten sogar Tresorschlüssel und konnten wichtiges mesopotamisches Material aus den Panzerschränken des Museums wegschaffen.“ Er sei sich ziemlich sicher, daß dies vom Ausland aus organisiert wurde. . .

Einige Tage später erzählte ich von diesen Ereignissen meinen Harfenfreunden in Edinburgh. Die meisten haben gar nicht gewußt, was sich da in Baghdad abgespielt hat. Dennoch konnte ich im Laufe der Zeit einige Menschen begeistern. So fand ich die ersten Freunde, die bereit waren, mitzuwirken und mitzubauen.

Eine Gemeinschafts-Arbeit

Denn es wurde sehr bald klar, dass dieses große Lyra-Projekt nur verwirklicht werden konnte, wenn in selbstloser und freundschaftlicher Gemeinschafts-Arbeit gleichgesinnte Handwerker zusammenarbeiten. (Lesen Sie dazu auch diesen Bericht)

Der erste, den ich über einige Umwege kennenlernte war Mohamad Aljanabi, der selbst aus dem Irak stammt. Schon bei unserem ersten Gespräch verstanden wir uns auf eine Weise, als hätten wir uns schon lange gekannt.

Wir kamen überein, dass wir anfangen sollten mit der Suche nach (vorerst) öffentlich zugänglichen Informationen, damit wir genaue Maß-Zeichnungen anfertigen konnten. Bei der Zerstörung des Museums gingen auch nahezu alle Dokumentationen verloren. Weltweit bekannt war das Bild des goldenen Stierkopfes der Lyra. Doch dieses Detail alleine konnte uns nicht weiterhelfen. Was wir dringend benötigten war eine Fotographie, auf der die Lyra im Profil zu sehen war. Die Suche war nicht einfach.

Gefunden hat dieses für uns so wichtige Bild letztendlich und dankenswerterweise meine Frau Balwina. Meine Bemerkung, dass sie in Schwaz sicher nichts Wesentliches finden würde, überging sie einfach und fand tatsächlich in der hiesigen Schwazer Stadtbibliothek ein Buch mit alten Reportagen über den Irak. Darin war eine Fotographie der Lyra, aufgenommen in den 30er-Jahren von M. Mallowan – den offiziellen Fotographen bei den Ausgrabungen in Ur. Das war das Bild, wonach wir suchten:

aus: Unbekannter Irak / National Geographic Magazin

Die Arbeit kann beginnen

Nun konnten wir mit den Zeichnungen starten. Der Beginn einer solchen Arbeit ist natürlich die Suche nach harmonischen Proportionen. Auch die Zikkurat – der Tempelturm von Ur – war nach geometrischen Harmonien gebaut. (Eigenartig: es gibt unzählige Werke über sogenannte „Baugeheimnisse“ der ägyptischen Pyramiden, über die Heilige Geometrie der sumerischen Stufentempel findet sich praktisch nichts.)

aus: Die Kraft der Grenzen von György Doczi

Eine Lyra, die bei kultischen Anlässen eingesetzt wurde, musste nach ähnlichen Prinzipien gebaut sein, da sie sonst für das Ritual ungeeignet war. Die Priester und die Handwerker waren an diese kosmisch-göttlichen „Bauvorschriften“ gebunden. Sie wußten genau, wie sie vorzugehen hatten – auch was die Tiermotive betrifft. An so einer Lyra ist nichts „zufällig“.

Geometrisch-harmonische Studien von Mohamad Aljanabi

Ich fertigte die erste Bleistift-Konstruktionszeichnung in Originalgröße an:

Erste Maß-Zeichnung 1:1 – Bild aus der Harfenwerkstatt in Schwaz / Tirol

Mit diesen Zeichnungen konnte Mohamad anschließend die Aufteilung des Mosaikes festlegen und im Stile des sumerischen Originales neu konstruieren:

Die Anordnung des Mosaiks auf der Werkzeichnung von Mohamad Aljanabi

Das Holz

Was wir jedoch benötigten war Holz; nicht irgend ein Holz, sondern Holz aus dem selben Lande, in dem vor fast 5000 Jahren die Lyra schon einmal gebaut wurde. Meine Wunschliste an Hölzern oder Alterniven, falls etwas nicht zu finden war, war lang.

Durch die Vermittlung von Dr. I. Jalili in England, der RAF (Royal Air Force), den Amerikanern in Baghdad und einem Handwerker aus der irakischen Hauptstadt war es möglich, das ideale Holz zu bekommen. Ein uns unbekannter Handwerks-Freund in Baghdad bereitete zwei große Balken vor. Die Amerikaner lieferten diese Bohlen in den Süden und übergaben sie den Engländern. Bei den Versorgungsflügen nach Großbritannien wurden diese großen Holzbalken mittransportiert.

Am 28. Januar 2004 wurden zwei wertvolle Zedernholzbalken von den zwei Soldaten Cpl. Titch Jones und Chf. Tech. Dave Parkes, die gerade mit dem Militärflugzeug aus dem Irak kamen, direkt an mich übergeben. Darüber berichtete sogar die Tageszeitung „Stamfordtoday“:

Quelle: Stamfordtoday

Sogar die Ryan-Air drückte ein Auge zu, damit ich mit diesen zwei „Holzbalken“ nach Salzburg fliegen konnte. Nach dem Trocknungsvorgang des Holzes bei der Firma HARO-Parkett im südlichen Bayern, die diese Arbeit (die Trocknung dauerte ca. einen Monat) dankerswerterweise ohne Kosten für unser Projekt durchführte, landete das irakische Zedernholz in meiner Harfenbauwerkstätte.

Somit konnte die „richtige“ Arbeit an der Lyra endlich beginnen!

Der Beginn der Lyra-Arbeit mit dem irakischen Zedernholz

*

Siehe auch die anderen Beiträge zur Lyra von Ur: Persönliche Gedanken (1), Wie alles begann (2),

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert