Thamyris-Lyra Rekonstruktion – Teil 1

Thamyris-Lyra; Quelle: (4)

Das Instrument

"Findend den 'Thraker' Thamyris, einst des Gesanges beraubten,
Der aus Oichalia kam von Eurytos. Denn, sich vermessend
Prahlt' er laut, zu siegen im Lied, und sängen auch selber
Gegen ihn die Musen, des Aigiserschütterers Töchter.
Doch die Zürnenden straften mit Lahmheit jenen und nahmen
Ihm den holden Gesang und die Kunst der tönenden Lyra."

(Homer: Ilias 2. Buch)

Diese Strafe und die Blendung seiner Augen erlitt der Illyrier (2) mit seiner 12-saitigen Lyra, die kunstvoll aus kreisförmigen, höckerigen Armen und einem attischen Mäandern verzierten, oben konvexen Korpus bestand – und die Thamyris im Kreise Apollons und der 9 Musen am linken Oberschenkel (mit Trageband) haltend, mit Plektron in rechter Hand zupft.

Abbildung aus dem Buch: THAMYRIS UND SAPPHO von Adolf Michaelis; Verlag Breitkopf und Härtel, Leipzig 1865. Quelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/michaelis 1865/0027 / Original: (1)

Diese Szene reicht in die Bronzezeit von Hellas, worauf auch die große Zahl der Saiten und die kleine Proportion H/B = 1,30 bei einer wahren Höhe von H = 68 cm hindeuten. Es ist dies eine signifikante Thamyris-Lyra, wie sie auch von zwei späteren (hier nicht abgebildeten) Formen bekannt ist. (3)

Technisch und musikorganologisch gehört sie zur Gruppe der Halbkreisrückenlyren; hellenisch: hemikykloi notoi lyrioi, latein.: semicirculo tergu fides (5)

Historische Anmerkungen

Im Altertum wurde dieser Kitharode Thamyris als „Thraker“ (bei Homer 33, II) bezeichnet, jedoch zu Unrecht. Sein Vater soll gewesen sein Philammon (33, II), seine Mutter die Nymphe Argiope, nach anderen, weniger zuverlässigen antiken Autoren jedoch Arsinoë oder die Muse Melpomene. Als Geburtsstätte des Thamyris galt Dorion am Eurytos-Fluß, das spätere Oichalia in Messenien (Peloponnes) etwa um 1248 v. Chr., wo er auch die dorische Harmonie erfand.

Tatsächlich kann Thamyris aber nur illyrischer Herkunft gewesen sein, denn just um die Zeit und den Ort seiner Geburt strömte die 1. Welle der Illyrioi auf ihrer Südwanderung über die Peloponnes, also Messenien, Lakonien und die Argolis, und über die Aigais nach Kreta, wo Knossos, Hagia Triada u. a. Paläste und Städte im 13./12. Jh. v. Chr. zerstört wurden. Für Thamyris‘ illyrische Abstammung spricht in philologischer Beziehung die Endsilbe -is, wie z. B. des illyrischen Fürsten Bardyllis, der Stadt Tralleis u. a. sowie die gestickten typischen illyrischen Ornamente seiner Kleidung im Gemälde unter den Musen.

Daß die alten Hellenen offenbar die Illyrioi mit den verwandten Thrakern verwechselten, zeugt die Tatsache, daß erstere noch im 4. Jh. v. Chr. kaum eine Vorstellung vom Volk und Sitz der Illyrioi hatten (Strabon VII, 317 gegen Theopompos), lange nachdem sich die meisten Illyrerstämme mit Hellenen, Thrakern und Dorern assimiliert hatten, und eine Entflechtung ethnischer Merkmale kaum noch möglich war. Auch weitere Indizien sprechen für Thamyris als Illyrer, und dagegen, daß er Hellene gewesen sei, z. B. die große Musikalität der ersteren, das Fehlen einer antiken Aussage hierüber für die Hellenen.

Der Wettstreit des Thamyris mit den Musen, die zu diesem Zweck aus ihrer Heimat Pierien oder vom heiligen Berg Helikon nach Thrakien kamen (nach Asklepiades: Rhesos), war von der Prahlsucht des Thamyris und der Herausforderung der Musen im Gesang und Kitharaspiel durch ihn entfacht. Er unterlag, sie blendeten ihn zur Strafe, nahmen ihm Gesang und Fähigkeit zum Kitharaspiel, worauf er seine Lyra zerbrach und in den messenischen Fluß Balyra warf. Nach anderer Version büßte er seine Überheblichkeit gegen die Musen im Hades. Dichterisch wurde dieser Wettstreit und sein Ausgang von Aischylos, Sophokles und Antiphanes, bildlich von Polygnot im Gemälde in der Lesche (ein Versammlungsraum) der Knidier zu Delphoi verwertet, in dem Thamyris mit zerstörten Augen, jämmerlichen Aussehen, mit viel Haar am Kopf und mit einer Lyra mit zerbrochenen Armen und zerrissenen Saiten zu sehen war. Die meisten überlieferten Darstellungen aber finden sich als Vasenbilder, von denen auch die Kenntnis der Thamyris-Lyren herrührt.

Als schönste und künstlerisch durchgeistigte ist die Thamyris -Lyra mit 12 Saiten (Bilder oben) voran anzuführen, dargestellt in einem Vasengemälde aus Attika um 450 v. Chr. in dem Thamyris unter den Musen in Gegenwart Apollons sein Instrument spielt. Die den Wirbeln eines Rückgrates ähnlichen, mit Fortsätzen versehenen Lyrenarme liegen auf einem Kreis. Alle Maßverhältnisse entsprechen dem „Goldenen Schnitt“ in erstaunlicher Konsequenz. (zitiert nach L. Vorreiter, Lit. 3)

Bericht der Rekonstruktion wird demnächst fortgesetzt.

Literatur und Quellenangaben:

(1) A. Baumeister: Denkmäler des klassischen Altertums, München Leipzig 1885 – 1888. Bd. III/2 Abb. 1809 (Vase jetzt in Berlin – Staatl. Museen)

(2) L. Vorreiter: Lyren der Illyrioi, Arch. f. MusOrg. 2, 1977

(3) L. Vorreiter: Apollon-, Orpheus- und Thamyris-Lyren, Arch. f. MusOrg. 2, 1977

(4) L.Vorreiter: Die schönsten Musikinstrumente des Altertums, Verlag Das Musikinstrument, Frankfurt /Main, 1983

(5) L. Vorreiter: Typologische Nomenklatur und Systematik der Musikinstrumente des Altertums, Arch. f. MusOrg. 3, 1978/79

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