Wie alles begann
Es war im Sommer im Jahre 1997. Ich fuhr gerade mit dem Auto (in Schwaz, soweit ich mich erinnere), schaltete das Radio ein und war mitten in einer Literatursendung um 11 Uhr 45 in Ö1 . . . und mitten in einer vollkommen fremden Sprache, die da rezitiert wurde. Es war die Stimme des Tiroler Autors Raoul Schrott, der aus seinem (damals) neuesten Werk Die Erfindung der Poesie vorlas. Der Text handelte von der Priesterin ENHEDUANNA aus dem alten Mesopotamien – die Sprache war sumerisch.
Daraufhin besorgte ich mir alsbald das Buch (1) samt Diskette zum Hören der Originaltexte. Hier konnte ich zum ersten Mal über die alte sumerische Kultur und Sprache lesen:
Das Folgende ist der in unsere Buchstaben übertragene Keilschrift-Text, den ich vor langer Zeit im Radio hörte:
Raoul Schrott hat diesen Text in ganz neuer und moderner Art ins Deutsche übertragen:
Die Erhöhung der Inanna – (Exordium)
Herrin aller me
gleißendes licht
Herrin in Deinem kleid von licht
geliebte des himmels und der erde
Herrin die du mit An schläfst
glosender schmuck
geschmückt von einem hohen diadem
gekleidet für die hohe priesterschaft
Herrin die Du alles in der hand hältst
all die sieben me
Herrin die Du alles in Deine arme schließt
all die hohen me
Du hast die me an Dich genommen
hast dir die me an die finger gehängt
Du hast die me zu Dir gehoben
hast dir die me an Deine brust gedrückt
*
Du hast dein gift verspien
wie ein drache über das land
Du grollst der erde wie der donner
daß alle bäume in flammen aufgehen
Du kommst über sie wie eine flut
daß die berge hinab in die ebene brechen
Herrin Du bist das hohe
Du bist die Inanna des himmels und der erde
Du regnest das feuer
Du schürst die steppen damit
Du reitest die tiere
Dir sind Ans me gegeben
Herrin Du aller riten
Dir sind Ans recht und wort gegeben
Herrin Du bist das hohe
wie niedrig is das was unseres ist
*
Die ME
Was sind die ME. (2) Es ist eines der Schlüsselwörter in der sumerischen Auffassung der Welt. ME ist ein vieldeutiger Begriff. ME heißt „Sein“, aber nicht das materielle Sein der Naturdinge, die uns umgeben, nicht Stein, Pflanze und Tier sind ME, sondern nur das, was zur Welt des Menschen gehört. ME sind die menschlichen Gedanken, Gefühle, Tätigkeiten und ihre Ergebnisse. So ist das Königtum ein ME, die Betrübnis und die Trommel, Dinge, die wir nie einer Kategorie zuordnen würden. Anders der Sumerer. Für ihn ist ME alles das, was er in seinem Bewußtsein schafft und dies Sein wird dann verwirklicht – er sagt: „aufgerichtet“ -.
In unsere Sprache übertragen: ME ist alles, was der Mensch kreativ aus sich heraussetzt. Aber damit haben wir eine wesentliche Dimension des sumerischen Begriffes noch nicht vollständig erfasst, den Bezug zur geistigen Welt, die „Religio“: In der Kreativität des Menschen wirken die Götter. AN, der höchste Gott, der alle anderen Götter schuf – Dionysios Areopagita wird sie Jahrtausende später „Hierarchien“ nennen -, besitzt die ME und er „läßt sie in ihrer Gesamtheit strahlend hervortreten“. Er übergibt sie den einzelnen Göttern zur Vermittlung an die Menschen, die durch die Verwirklichung der ME Teilhaber am göttlichen Weltenplan werden.
ME kann aber außerdem auch „Wort“ bedeuten, das schöpferisch wirksame Wort, die Idee. Hier finden wir auch Beziehungen zum griechischen Logos- und platonischen Eidosbegriff. Und wenn auch die ME auf Erden oft zerstört werden, werden sie doch durch Götter und Menschen immer wieder neu „aufgerichtet“.
Das sind nur kurze Hinweise, denn eine umfassende Deutung der sumerischen Geisteswelt ist in diesen kurzen Zeilen – im Rahmen des Lyra-Projektes – nicht möglich.
Die Lyra als Bild
Als ich mit dem Musikinstrumentenbau begann, hatte ich nur wenig an Bildmaterial zur Verfügung. Doch zu dem Wenigen gehörte ein schönes altes italienisches Lexikon über Musikinstrumente. In diesem Werk sah ich zum ersten Mal das Bild einer sumerischen Lyra.
Man möge sich nur einmal vorstellen, dass in jener Zeit in Ur in Chaldäa ein Handwerker so ein Instrument baute, während in unseren Bergen – im hinteren Ötztal an der Grenze zu Italien – der berühmte „Ötzi, der Mann im Eis“ – sich mit einer Pfeilwunde über über den Gletscher schleppte und dort verstarb.
Wie auch immer, seit ich dieses Bild sah, hatte ich die Vision, eine derartige Lyra eines Tages nachzubauen. Das Abenteuer dieser Rekonstruktion sah dann aber ganz anders aus als in meinen Träumen.
Der Krieg
Plötzlich, aber nicht ganz unerwartet, brach der Krieg über jenes Land herein, welches vor 5000 Jahren die Wiege unserer westlichen Kultur war. Norman Solomon schreibt: „Das erste Opfer eines angekündigten Krieges ist wieder einmal die Wahrheit. In bemerkenswertem Gleichklang mit der US-Regierung vermarkten die Medien den Krieg auf beispiellose Weise: Für die Kundschaft gibt es Amtswahrheiten, private Ansichten und auch Schwindeleien.“ (4) Einen großen Teil der unterschlagenen Geschichte findet man in diesem Buch:
Am frühen Morgen des 20. März 2003 – einem Donnerstag – um 3.33 Uhr mitteleuropäischer Zeit griffen die USA und ihre Verbündeten aus der Luft die Hauptstadt Baghdad an.
Hier war der Zeitpunkt für mich, eine Entscheidung zu treffen: Was kann ein Mann wie ich, der seinen Weg in der Welt geht, schon ausrichten gegen so viel Gewalt und Hass und Krieg. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, dagegen anzukämpfen, es wäre sowieso ein nutzloses Unterfangen – Nein! Ich kann jedoch etwas Anderes, etwas Positives, dagegen stellen. Und mit meinen Möglichkeit kann ich nur eines: Ein Herzstück aus der Wiege dieser alten Kultur wieder neu zu errichten, damit es für die Nachwelt erhalten bleibt. Die große Goldene Lyra von Ur muss für die irakische Sache neu gebaut werden. In diese Richtung, vorerst jedoch ohne konkrete Planung, gingen meine Gedanken. Es war an der Zeit.
So begab ich mich auf die Suche nach originalen Quellen der Lyra.
*
Siehe die anderen Beiträge zur Goldenen Lyra aus Sumer: persönliche Gedanken (1), Die Idee wird Realität (3),
*
Literaturhinweise:
(1) Raoul Schrott: Die Erfindung der Poesie, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1998
(2) Die Ausführungen über die ME sind zitiert aus: Victoria Brockhoff: Als die Götter noch mit dem Menschen sprachen, Herderbücherei, 1981
(3) Enciclopedia degli strumenti musicali, Fratelli Melita Editori, La Spezia, 1990
(4) Norman Solomon / Reese Erlich: Angriffsziel Irak, Goldmann 2003
(5) National Geographic Magazin – Sonderausgabe „Die großen Reportagen – Sammelband 2002“: Unbekannter Irak