Begriffe und Definitionen – Teil 1

Nomenklatur im Musikinstrumentenbau

Begriffsbestimmungen aus der Musikorganologie (1)

Zur Technik und Technologie

Rekonstruktion bedeutet die ingenieurmäßige Neukonstruktion technischer Erzeugnisse des Menschen, also auch von historischen, nicht mehr bestehenden Musikinstrumenten nach überlieferten Darstellungen (Ikonogrammen oder Detailbeschreibungen, z. B. des Aristoxenos , des Athenaios u. a. die griechische Lyra betreffend); sie erfordert ein umfassendes höheres technisches Wissen z. B. in der Mathematik, Mechanik und Akustik, alte und neue Werkstoff-, Zier- und Oberflächenkunde, Konstruktionslehre, Be- und Verarbeitung der Werk- und Hilfsstoffe, Ikonographie, Farbenlehre u. v. a. Selbst dann, wenn eine Rekonstruktion nicht vollkommen gelungen erscheint, stellt dies einen kleineren Fehler dar, als sie überhaupt zu unterlassen.

Reproduktion ist die nach einer Rekonstruktion unternommene Wiederherstellung eines historischen Musikinstrumentes, wozu außer den Erfordernissen wie oben für die Rekonstruktion angeführt, noch handwerkliche Techniken, z. B. Verbindungen von gleichen und verschiedenen Arten von Werkstoffen untereinander, von Werk- mit Zierstoffen, die Oberflächenveredelung und Oberflächenzier beherrscht werden müssen.

Zum historischen Musikinstrumentenbau als Kunsthandwerk:

Kunsthandwerkliche Formenlehre behandelt die allgemeinen Formgesetze und Maßproportionen sowie die Regeln für individuelle Kunstformen des ganzen Kunstgegenstandes, seiner Tektonik und seines Dekors unter Wahrung seiner Zweckfunktion, hier der Musikinstrumente in ihrem Gestalt- und Klangbereich.

Kunststilistik oder Stilkunde stellt das einheitliche Charakteristikum von Form und Zier eines Kunstgegenstandes vor, der von bestimmten Völkern, Perioden oder Künstlern hervorgebracht wurde oder wird, zum Beispiel im Musikinstrumentenbau die musikorganologische Stilistik; die Ausdrucksmittel hierfür sind die Stilmittel oder Stilelemente.

Stiltypologie behandelt die Frage, unter welchen Bedingungen bstimmte Eigentümlichkeiten des Stils oder stilistische Ausdrucksmittel geographisch bzw. räumlich-zeitlich oder persönlich wiederkehren oder sich wiederholen; sie beruht auf der Stilanalyse und Zierhermeneutik.

Zur Ikonographie und Geschichte:

Musikikonographie als bildliche Darstellung verschollener Musikinstrumente und Musikbräuche sowie als z. T. textliche Aussagen in Ergänzung überlieferten Musikschrifttums; überlieferte Bilder sind Ikonogramme. Leider wird in der Musikwissenschaft die Musikikonographie vorwiegend als isolierte Beschreibung überkommener Bildschöpfungen ohne verbreiterte und vertiefte Hermeneutik betrieben (Hermeneutik ist die „Kunst“ des Verstehens und Deutens bzw. der Interpretation von Texten, Verhaltensweisen und Kulturmustern).

Musikgeschichte stellt die umfassenden und kontinuierlichen Zusammenhänge der Musikinstrumentenentwicklung mit dem zeitgenössischen und gleichräumiogen Musikleben, seiner kulturellen und geschichtlichen Stellung im Gesamtleben der Völker dar; „Alte Musikgeschichte“ ist wegen der Unzuverlässigkeit und großer Lückenhaftigkeit schriftlicher Überlieferungen auf die Ergebnisse musikorganologischer Forschung angewiesen.

Musikorganologische Geschichte behandelt Entstehung, „Geist und Werden“, Anlässe und Formen der Verwendung der Musikinstrumente und aller Kräfte und Ereignisse im Zusammenhang mit dem Musik- und Gesellschaftsleben, den politischen und wirtschaftlichen Einflüssen, die zur Veränderung im Bestand, Fortschritt und in den Beziehungen zu den anderen Künsten geführt haben. Sie ist daher ein integraler Teil der Kultur-, vor allem der Musikgeschichte und lehnt sich räumlich und zeitlich an die letztere an.

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Quellenhinweise:

(1) Begriffsbestimmungen: Entnommen aus dem Archiv für Musikorganologie von Dr. Ing. Leopold Vorreiter; Heft 1, Dezember 1976

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