Ein Dank an einen Schwertschmied
Im Mai 2004 begegnete ich im Klingenmuseum in Solingen zum ersten Mal persönlich Virgil England. Diese wenigen Stunden sollten (wahrscheinlich) die einzige Begegnung sein die wir hatten. Doch wie begann alles?
Irgendwann im Jahre 1992 (oder war es 1993) stand ich in Schwaz in einem Kaufladen am Zeitschriftenstand und blätterte in einem Waffen-Magazin. Ich weiß auch nicht mehr, warum ich gerade „zufällig“ diese Zeitschrift aus dem Regal nahm. Doch dann passierte es: Da war ein Bericht über einen Messermacher und Schwertschmied aus Alaska. Sein Name: Virgil England.
Ich las da über magische Schwerter und finstere Rüstungen; Zauberhelme, in denen Geister hausen; über martialische Streitäxte und Lanzen und über die imposanten „sterblichen“ Überreste eines geflügelten 4 Meter großen Drachen aus ca. 200 Kilogramm Walfischknochen, der mit seinen Klauenstümpfen noch ein Schwert namens „Tränenschleier“ umklammert (es ist das Schwert des Chugach-Drachen „Veil of Tears“ mit Damastklinge, Elfenbeingriff und einem afrikanischen, grünen 354-karätigen Turmalin am Knauf – in Gold montiert).
Das ist die Welt des Virgil England, der hoch oben im nördlichsten US-Bundesstaat mythischen Träumen Gestalt verleiht. All das in unübertrefflicher Qualität (jedes Schwert scharf wie ein Rasiermesser) und nur mit ausgesuchten edlen Materialien (wie Damaststahl, Mammutelfenbein, Silber, Gold, Edelstein, Bronze, Leder, Schlangenhaut, Pferdehaar und Rochenhaut).
Denn so wie J.R.R. Tolkien entführt uns auch Virgil England in eine „andere“ Welt. Diese Welt nennt er „Het Land“, eine Inselkette, bewohnt von mehreren Clans, den Hershot, Het und Shantu. Die Bedrohung durch Drachen und Dämonen, die in Abständen von etlichen Jahren die Menschen und das Land verheerend heimsuchen, zwingt die Bewohner zu einer ausgefeilten Strategie der Verteidigung und besonderer Bewaffnung.
Sein Het-Land-Kosmos ist – obwohl Phantasy – tatsächlich ein schlüssiges und rationales System, in dem er sich als Waffenmeister aus der im Norden der Het Lands gelegenen Stadt Hardfist Down sieht. So entwickelte Virgil England eine Bewaffnung, die mit gefährlichen Klingen ausgestattet ist, furchterregend ausschaut und darüber hinaus mit symbolischen Attributen wie Masken, tätowierten Gesichtern, Totenschädeln und Amuletten gespickt sind. Damit wurden diese Waffen zur ersten „tragbaren“ Kunst.
Jedes seiner Projekte ist einzigartig und beginnt mit langen Serien von Zeichnungen, in denen der eigentliche Prozess der Gestaltung passiert. Manche geraten so „phantastisch“, dass auch der erfahrene Het-Land-Meister sie nicht umzusetzen vermag.
Einige Jahre später kam ich zum Harfenbau. Damals, als ich die Firma „Elvenkings-Harp“ gründete, hatte ich ungefähre Vorstellungen, was ich (abseits der „normalen“ Harfen) gerne machen möchte. Und dieses Ziel lies mich – bis heute – nicht mehr los: So wie Virgil seine Messer und Schwerter gestaltet und baut, so hatte ich in gleicher Art meine Vision, frei und unabhängig meine Harfen zu bauen.
Es entstanden – und entstehen immer noch – Harfen mit Drachen, auch mit Skulpturen – z. B. einem Puma, einer Drachenschlange (inspiriert von der Gegend Adderstone in Northumberland) oder einer Priesterin (aus der sumerischen Tradition) oder eine Harfe mit einem „geheimen“ Bronzedolch im Resonanzkörper . . . und vieles mehr. Meine Pläne und Phantasien für „Harfen aus einer anderen Welt“ – inspiriert durch Virgil England – reichen noch Jahrzehnte in die Zukunft. Auf den folgenden Bildern sind zwei unikate Beispiele, ein Puma und die Drachenschlange zu sehen:
Im Jahre 2003 schrieb ich an Virgil und teilte ihm mit, dass er maßgeblich dazu beigetragen hat und mich inspirierte, wie ich meine „speziellen“ Harfen baue; Ja, und dass ich mich dafür bedanke! Seine Antwort war sehr freundschaftlich und berührend: Er freute sich über meinen Brief und schrieb mir zurück: all die Inspirationen würden nichts nützen, wenn ich nicht schon selbst auf diesem Weg gewesen wäre. Er habe mir vielleicht nur einen Anstoß (zur Tür hinaus) gegeben.
So kam es , dass wir uns ein Jahr später bei der Messer-Ausstellung in Solingen zum ersten Mal trafen. Ich fuhr mit dem Nachtzug von München nach Köln und von dort weiter mit der Regionalbahn nach Solingen. Obwohl es unser erstes Gespräch war, war es ein Treffen, wie es nur unter „alten“ Freunden und Handwerkern möglich ist. Drei Stunden später war die Ausstellung zu Ende.
Ob ich meinen Handwerks-Bruder Virgil England noch einmal begegnen werde, weiß ich nicht.